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Sara Paborn: Beim Morden bitte langsam vorgehen

Ein herrlich bösartiges Buch!

Eine Frau ermordet ihren Mann nach 39 Jahren Ehe. Schon auf der ersten Seite gesteht sie uns das, es gibt also nichts mehr zu hoffen für Horst. 

Irene stellt uns ihren toten Mann als selbstherrlichen Menschen vor, der mehr Platz beansprucht hat, als ihm zustand. Immer noch auf der ersten Seite erfahren wir außerdem, dass sie beinahe geschnappt worden wäre und dass sie nur knapp davongekommen ist. 


Ich bin sofort neugierig. Was hat sich der Kerl zuschulden kommen lassen, dass er derart bestraft wird? Und warum nach so langer Zeit noch? Und hätte es eine Scheidung nicht vielleicht auch getan?


Fragen über Fragen. Gattenmord ist eine ernste Angelegenheit und will gut überlegt sein. Denn eigentlich sind Irene und Horst ein gewöhnliches Ehepaar. Zwei Kinder, erwachsen, ein Haus, ein Garten. Doch hinter der Fassade ist das Kräfteverhältnis im Ungleichgewicht. 


Das beginnt schon mit Äußerlichkeiten. Während er den meisten Platz im Haus für sich und seine Stereoanlage beansprucht, zieht sich Irene in einen kleinen Raum im Keller zurück. Dort hat sie ihre Bücher, einen Sessel und die Möglichkeit, Tee zu kochen. Sie richtet sich ein, stoisch erträgt sie seine Gängelungen und Maßregelungen. Doch als sie eines Tages nachhause kommt und vier ihrer Kisten mit Büchern im Altpapier gelandet sind, um Platz für zwei Säcke Zement zu schaffen, ist das Maß entschieden voll. In ihr reift der Plan, sich der Demütigungen ihres Mannes auf radikale Weise ein für alle Mal zu entledigen.


Vielleicht wäre selbst da noch nicht allzu viel passiert, wenn Irene nicht zufällig in einer Truhe die alten Vorhänge ihrer Mutter gefunden hätte. Die, die immer so schön gerade gefallen sind, weil sie am unteren Saum mit einem Band aus Blei beschwert sind. Wer erinnert sich noch?

 

Aus Blei kann man mit etwas Geschick und dem richtigen Chemiebuch Bleizucker herstellen. Der sieht aus wie Zucker, schmeckt wie Zucker, hat aber eine gänzlich andere Wirkung. Ab jetzt bekommt Horst seinen Kaffee extrasüß.


Was lernen wir daraus?


1. Lesen bildet (z. B. Chemiebücher).

2. Kaffee ohne Zucker kann helfen, Leben zu retten.

3. Bleivergiftungen sind qualvoll und dauern lang.

4. Ein Kompliment von Zeit zu Zeit hilft, das Schlimmste zu verhindern.

5. Ein Leben ohne Literatur ist sinnlos.


„Beim Morden bitte langsam vorgehen“ ist herrlich, böse, witzig, spannend, außerdem sehr philosophisch. 


Zwischen den Kapiteln sind zur Auflockerung interessante Lexikoneinträge oder Sätze aus wichtigen Büchern eingeflochten. Da findet man zum Beispiel eine Erläuterung zur Ehe aus dem Nordischen Familienlexikon. Oder einen Auszug zum Thema Bleivergiftung aus einem Schwedischen Nachschlagewerk aus dem Jahr 1936. Auch „Die Kunst des Krieges“ von Sun Tsu (523 v. Chr.) wird zitiert.


Dieser Rachefeldzug einer gedemütigten Frau hat mir großen Spaß gemacht. Am Ende wird es nochmal so richtig brenzlig, kann es wirklich sein, dass sie damit durchkommt? Sie hat es uns gleich auf der ersten Seite verraten.


Ein verblüffender Roman, radikal und voller ungeahnter Wendungen, giftig, witzig und schwarz wie der schwärzeste Kaffee. 

Vor Nachahmung wird dringend gewarnt!


Sara Paborn: Beim Morden bitte langsam vorgehen

Aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn

DVA 2018, 265 Seiten

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