Jetzt also Gotland. Na dann. Ich bin gespannt. Diesmal kein Roman, sondern Betrachtungen und kleine Begebenheiten.
Zuerst begegnen ich Pippi Langstrumpf. Schon für diese erste Begegnung hat sich die Reise gelohnt, denke ich, gewohnt, mich in ein bisschen Melancholie einzukuscheln, die das Aufzeigen von schönen Momenten aus der Kindheit zuweilen auszulösen vermag.
Gleich darauf treffen wir den Geist des alten Ingmar Bergmann, und sofort will ich alle Ingmar Bergmann Filme wieder sehen. Das kann ja heiter werden. Ich mache es mir weiter auf meinem Sofa gemütlich.
Und dann verpasse ich einfach den Moment, an dem sich das Buch für mich ändert und zu einem einzigen Rausch wird.
Es gibt Bücher, die liest man, wie man eine gute Platte hört. Die Wörter strömen in einen hinein, durch einen hindurch, erhellen die innere Sprachlosigkeit und spiegeln unbewusste Gefühle.
Dieses Buch vereinnahmt mich zunehmend, ich vereinnahme dieses Buch. Die Autorin schaut wissend zu. Endlich gibt jemand dem unsortierten Rauschen in einem selbst Wort und Struktur. Jeder Satz ein Gedicht. Wie ich sie dafür liebe!
In diesem Wust aus feinen Sätzen klaube ich als erstes ausgerechnet den eines anderen heraus: „…mit der schwebenden Melancholie eines immer schon vergangenen, gleichsam in seinem Verlust festgehaltenen glücklichen Moments.“ (Volkmar Billig, S. 93). Vielleicht ist das der Satz, nachdem ich immer schon gesucht habe. Der beschreibt, wie es sich anfühlt, das Glück und damit die Zeit anhalten zu wollen, es schreibend, malend, fotografierend zu fixieren, auf dass es leuchte für alle Zeit. Und die immer wiederkehrende Erkenntnis, dass es alleine schon der Versuch ist, der alles vertreibt. Jetzt finde ich ihn, ganz nebenbei, diesen Satz, ohne aus dem Haus gehen zu müssen und verharre für den Moment.
Wie schafft es Anne von Canal, diese Unmittelbarkeit zu erzeugen? Als könnte sie tatsächlich Momente einfangen wie Schmetterlinge mit einem Netz und sie dann wieder freilassen, damit sich andere daran freuen mögen.
Ihre Sätze sind kostbar.
„…denke…an die kleine deutsche Vorsilbe Er-, die die Mühen des Zählens und des Findens schließlich mit Geschichten belohnt.“ (S. 96)
Oder:
„Alles was ich schreibe, ist wahr.“ (S. 112)
Einer Autorin, die weiß, dass man etwas sagt, nicht weil es wahr ist, sondern weil es schön klingt, kann ich mich ohnehin bedingungslos anvertrauen.
In „Mein Gotland“ wird keine große Geschichte erzählt, vielmehr sind es die kleinen Geschichten, in Wind, Zeit und Einsamkeit eingebettete funkelnde Vignetten, die eine Insel ausmachen. Die einen selbst ausmachen. Die letztlich jede Gemeinschaft ausmachen, überall auf der Welt. Plötzlich habe ich immer wieder, wie die Autorin selbst, einen Kloß im Hals bei so viel Schönheit und Freundlichkeit.
Ein Satz von ihr lautet: „Dies ist ein guter Ort, um verloren zu gehen. Vielleicht der beste.“ (S.) Für „Mein Gotland“ gilt dasselbe: Dies ist ein gutes Buch, um darin verloren zu gehen. Vielleicht das beste.
Und dann, wenn ich mit dem Buch durch bin und aufgehört habe, froh, ergriffen, berührt und verliebt jeden einzelnen Satz daraus auf mein suchendes Herz zu tätowieren, dann kann ich endlich von vorne anfangen und mich ganz der Landschaft hingeben, durch die Anne von Canal mich führt. Und diesen wahnsinnig schönen Geschichten von Liebe und Sein. Für immer.
Genau so und nicht anders soll ein Buch sein.