Das habe ich damals in meinen Zwanzigern gelesen, immerhin war die 1929 in Amerika geborene Erzählerin ein erfolgreicher und nicht wegzudenkender Teil der Frauenbewegung in den 60er und 70er Jahren. Und darüber hinaus.
Plötzlich habe ich das unbedingte Verlangen, mal nachzuschauen, ob mir ihre feministische Sicht auf die Welt und darauf, wie Machtverhältnisse verteilt sind, heute noch etwas sagen kann. Sind ihre damaligen Analysen heute vielleicht überholt? Aber vor allem: Mag ich ihren Stil noch immer?
Die zweite Frage zu beantworten, ist leicht: Oh ja, ich mag! Und wie! Ohne dass ich es richtig bemerkt habe, bin ich schon wieder mittendrin.
Es sind die 70er Jahre in Amerika bzw. in England.
Erzählt wird die eigentlich unmögliche Liebe zwischen Dolores und Viktor. Sie ist eine bekannte Literaturdozentin an der Harvard Universität, er ist ein erfolgreicher amerikanischer Geschäftsmann. Beide haben eine gescheiterte Ehe hinter sich, als sie sich in England begegnen, wo sich beide aus beruflichen Gründen für ein Jahr aufhalten. Vom ersten Moment an ist die Anziehungskraft zwischen den beiden immens, doch schon bald werden ihre grundverschiedenen inneren Überzeugungen zu immer wiederkehrenden Prüfsteinen für ihre Beziehung.
Stück für Stück enthüllen sie sich jeweils ihre traumatische Lebensgeschichte, aber während Viktor ihrer beider Geschichten als persönliche Dramen begreift, erkennt Dolores in beiden Geschichten das Wirken des ganze Elends weiblicher und männlicher Rollenzuschreibungen und daraus führt für sie kein Weg heraus.
Ein immer noch wahnsinnig aufregendes Buch, dramatisch, zuweilen kitschig, zutiefst wahr und mitreißend. Ein Roman aus der Überzeugung heraus, dass das Private stets politisch ist. All die gesellschaftlichen Zwänge, die Machtverteilung, die durch Jahrhunderte patriarchischer Gesellschaft zementierte Strukturen sind wie ein grobes Leinentuch hinter dem Erzählten immer sichtbar.
Marilyn French erzählt diese Liebesgeschichte beschwörend, man möchte gerne, dass es für Viktor und Dolores ein Happy End geben möge, und vielleicht ist das ja auch trotz aller Widrigkeiten möglich?
Der Sog, den French beim Erzählen erzeugt, ist körperlich spürbar. Da spricht eine über Schmerzen, über traumatische Erfahrungen, eine, die etwas davon versteht, soviel ist klar. So ist es dann auch kein Zufall, dass die Protagonistin den Namen Dolores trägt, während Viktors Name Sieger bedeutet.
Natürlich sind Frenchs Analysen der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern noch längst nicht überholt, auch wenn sich die Rollenbilder deutlich differenziert haben. Was habe ich mir nur gedacht? Das Tröstliche ist, dass es Entwicklungen gegeben hat. Das Traurige, dass Frauen noch lange nicht gleichberechtigt sind. So hat Marilyn Frenchs Roman auch heute noch seine Bedeutung.
Aber mal ganz abgesehen von seiner politischen Relevanz: „Das blutende Herz“ ist einfach immer noch und immer wieder ein ganz großartiger Roman.