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Walter Satterthwait: Miss Lizzie

Mein absoluter immerwährender Lieblingskrimi

Auf der Liste meiner zehn Lieblingsbücher steht schon mein halbes Leben unverrückbar ein Krimi, den ich nicht müde werde, den Menschen um mich herum ans Herz legen zu wollen.

Im Neuengland des gerade beginnenden 20. Jahrhunderts kursiert ein schaurig-witziger Knittelvers:


Lizzie Borden mit dem Beile

hackt Mama in vierzig Teile.

Das Ergebnis freut sie sehr;

bei Papa wird es ein Teil mehr.


Wow, das ist doch mal ein Kinderabzählreim, und der geht zurück auf die historisch verbürgte Lizzie Borden, eine Art makaberer Berühmtheit, die verdächtig war, ihre Eltern mit einem Beil umgebracht zu haben. Zwar wurde sie von den Geschworenen der damaligen Gerichtsverhandlung für unschuldig erklärt, aber üblicherweise halten sich die Leute von ihr fern, frei nach dem Motto: “Wo Rauch ist, ist auch Feuer”.


Die Geschichte beginnt 1920, das Gerichtsurteil liegt zu dieser Zeit bereits 30 Jahre zurück, Lizzie Borden lebt zurückgezogen in einem kleinen Haus am Meer, als unsere dreizehnjährige Heldin Amanda, die ihre Sommerferien an der See verbringt, buchstäblich in die ältere Dame hineinstolpert. 


Amanda ist neugierig, kess und liberal erzogen, sodass sie nicht wirklich erschrickt, als sie Lizzie Borden erkennt, sondern sich vielmehr sonderbar hingezogen fühlt zu der netten alten Dame, die sie sogleich auf einen Tee zu sich nach Hause einlädt. 


Das könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein, aber dann passiert völlig unerwartet ein Mord. Und nicht nur das, er wird, grausam genug, auch noch mit einem Beil ausgeführt.


Hat Lizzie Borden, die Axtmörderin, erneut zugeschlagen? Sollte sich Amanda in ihrer neuen Freundin wirklich derart getäuscht haben? 


Wie soll ich erklären, dass für mich ausgerechnet dieser Krimi zu dem Lesenswertesten gehört, was das Krimigenre je hervorgebracht hat? Ja gewiss, er ist spannend und er ist von einer eleganten Zeitlosigkeit. Aber wie diesen Ton einfangen, diesen Witz, diese Poesie und diese Melancholie? Warum lese ich dieses Buch seit Jahren immer wieder, wie man eine gute Flasche Wein aufmacht? 

Und warum habe ich, während ich diese Rezension schreibe, natürlich wieder einmal einen Blick hinein geworfen und bin, ohne es zu merken, bereits auf Seite 50 gelandet? 


Ich weiß es nicht. 

Vielleicht kann mir das ja mal jemand erklären.


Walter Satterthwait: Miss Lizzie

Aus dem Englischen von Ursula-Maria Mössner

Haffmans Verlag 1995, 332 Seiten



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